21 October, 2012

Preußen: Platz an der Sonne ()

Synopsis:
Am 26. Oktober 1894 wurde Caprivi entlassen. Wilhelm berief erstmals einen Nichtpreußen, den bayrischen Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Er sollte anders als seine beiden Vorgänger keinen Führungsehrgeiz entwickeln.

1895 wurden der Kaiser-Wilhelm-Kanal, heute Nord-Ostsee-Kanal fertiggestellt und die Marinehäfen Kiel und Wilhelmshaven ausgebaut. In diesem Zusammenhang besetzte und pachtete das Deutsche Reich die chinesische Hafenstadt Tsingtao auf 99 Jahre. Wilhelm erkannte trotz seiner Englandfreundlichkeit nicht, dass damit die weltweite Hegemonialmacht Großbritannien aufs Äußerste beunruhigt wurde. Der anhaltende deutsche Kolonialismus -- gegen den Bismarck und Caprivi sich noch gewehrt hatten -- wurde von ihm nicht als riskant gegenüber den Großmächten England, Frankreich und Japan erkannt und gebilligt: 1899 erwarb das Reich die Karolinen, Marianen, Palau und 1900 Westsamoa. 1896 versäumte Hohenlohe-Schillingsfürst es, Wilhelm von der Krüger-Depesche abzuhalten, einem Glückwunschtelegramm an die Buren zur Abwehr des britischen Jameson Raid, die in Großbritannien mit Empörung aufgenommen und nachhaltig als Abkehr von der englandfreundlichen Politik Caprivis gedeutet wurde.

1900 ersetzte Wilhelm Hohenlohe durch Graf Bernhard von Bülow, der als Reichskanzler weder die anstehenden innenpolitischen Reformen betrieb noch die sich neu gruppierenden außenpolitischen Konstellationen, in Deutschland als Einkreisungspolitik empfunden, zu meistern vermochte. Das Verhältnis zu Frankreich wurde nicht verbessert, England nun auch durch die Flottenpolitik herausgefordert und Russland auf dem Balkan nicht gegen die Österreichisch-Ungarische Monarchie unterstützt. Wilhelm vertraute Bülow, der ihm nachhaltig zu schmeicheln wusste, lange, bis zur Daily-Telegraph-Affäre 1908 und den Eulenburg-Prozessen.


Friedenspolitisch ergriff Wilhelm II. erst 1905 eine Initiative: Im Sinne einer Wiederannäherung an Russland, das gerade seinen Krieg gegen Japan zu verlieren drohte, schloss er mit Nikolaus II. den Freundschaftsvertrag von Björkö. Frankreich sollte einbezogen werden. Der Vertrag wurde allerdings schon 1907 von Russland für gegenstandslos erklärt, weil er mit der französisch-russischen Annäherung, die inzwischen stattgefunden hatte, nicht vereinbar war.[8] Diese Annäherung hatte sich ergeben, nachdem Wilhelm II. 1906 in der Ersten Marokkokrise durch seinen Besuch in Tanger Frankreich herausgefordert hatte. Resultat war überdies eine Verschlechterung der Beziehungen zu Japan, das bisher Preußen/Deutschland als wissenschaftlichen und militärischen Lehrmeister angesehen hatte.

1908 wurde Wilhelms Hilflosigkeit durch die Daily-Telegraph-Affäre deutlich: Er beschwerte sich in einem Interview mit der Zeitung über seine eigene Regierung -- sie sei nicht englandfreundlich genug. Bismarck war ein Meister darin gewesen, seine Politik medial zu flankieren. Bei Wilhelm II. dagegen sollte das Interview und markige Reden die Politik ersetzen. Ein besonders eklatantes Beispiel hatte der Kaiser mit der bereits am 27. Juli 1900 in Bremerhaven gehaltenen Hunnenrede gegeben. Mit dem Daily Telegraph-Interview fiel er nunmehr der Reichspolitik in den Rücken, indem er darin erklärte, er sei ein guter „Beschützer Englands", hielte er doch die anderen europäischen Mächte immer davor zurück, England zu provozieren. Dies wurde in England als Ärgernis empfunden: Es ließe sich von niemandem beschützen und empfand das Interview als Anmaßung. Wilhelm knickte angesichts des deutschen Pressesturms ein und versprach, sich künftig außen-, wie auch innenpolitisch zurückzuhalten.
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